Ausgangspunkt des Entwurfs ist die Vorstellung eines Arbeits- oder Lesezimmers. Die Fülle an Büchern hebt die klaren Zuordnungen von Möbel und Inhalt auf. Die überall liegenden, stehenden und gestapelten Bücher werden selbst zu Teilen des Raumes, zu einem großmaßstäblichen Mobiliar, dem aber an jeder Stelle wieder die einzelne Bücher entnommen werden können, um, auf der abstrakt bleibenden Masse der anderen Bücher sitzend, das eine, zur Hand genommene zu betrachten. Die Simulation bzw. Transformation dieser Bücher schafft ein unmittelbares Leseumfeld. Einzelne kubische Möbel (Schreibtisch, Lesesessel, etc.) und eine Vielzahl darauf und drumherum gestapelter Holzkuben unterschiedlichster Formate lassen die Assoziation eines übervollen Arbeitsraums entstehen. Auf dieser abstrakten, in Farbe und Oberflächen einheitlich gehaltenen Basis entstehen Regal- und Präsentationsflächen für Bücher und Sitzgelegenheiten für die Leser.
MehrDer Leseraum des intellektuellen Messies
„Es gibt Künstler, die sind an einer Kunst interessiert, die im öffentlichen Bereich eine Funktion übernimmt. Und es gibt Architekten, die an einer Architektur arbeiten, die – ohne ihren funktionalen Aspekt zu vernachlässigen – auch leicht im Feld der Kunst reüssieren könnte. Das Architekturbüro Meixner Schlüter Wendt steht für einen solchen Ansatz.
Der für das MMK Zollamt entwickelte „Leseraum“ ist als ein Raum kommunikativer Dichte geplant. Um einen solchen Raum entwickeln zu können, wurde das Verhalten der Besucher an diesem speziellen Ort studiert und die mögliche Gestaltung Schritt für Schritt in Modellen und Modellsituationen überprüft. Nur wenige der den „Leseraum“ im Zollamt prägenden Elemente erinnern an bestimmbare Möbel, die Mehrheit weckt eher Assoziationen an einen überdimensionierten Baukasten, dessen Elemente scheinbar beliebig im Raum verteilt wurden. Einige Elemente sind fixiert, andere sind beweglich und finden ihren Platz immer wieder neu durch die individuelle Inanspruchnahme der Besucher. Im Raum liegen Bücher, Kataloge und Zeitschriften aus, die im Vorübergehen, im Stehen oder Sitzen eingesehen und gelesen werden können.
Was auf den ersten Blick wie gewürfelt erscheinen mag, ist in seiner Grundstruktur wohl überlegt und auf die Bedürfnisse der Besucher ausgelegt.
Entscheidend für die Wirkung des Raumes ist schließlich, dass den Architekten mit geringem Aufwand etwas gelungen ist, was opulente Inszenierungen oftmals nicht vermögen: Das scheinbar Gesicherte und Stabile gerät hier in Bewegung und lässt so einen Raum entstehen, der auf Körper und Geist zielt und bei dem unsere Gefühle ebenso profitieren wie der analytische Verstand.“
Andreas Bee/Kurator und stellvertretender Direktor des MMK
Assoziation Arbeitszimmer/ Lesemessie
Modell
Variante Museum für Moderne Kunst
Variante MMK Zollamt
Abstraktionsstufen
Bauherr
Museum für Moderne Kunst Frankfurt
Team
Joost Rebske (Projektleiter), Felix Harz
Ort
Frankfurt am Main
Fertigstellung
2009
Bruttogeschossfläche
flexibel
Die von uns entworfenen Gebäude treten in ihrem architektonischen Ausdruck sehr unterschiedlich auf. Gleichwohl liegt ihnen eine dezidierte Haltung zur Architektur und eine gemeinsame Entwurfsmethode zu Grunde.
Aus unserer Sicht sollte ein Architekt die realen Gegebenheiten genau in den Blick nehmen und zur Entfaltung kommen lassen. Die Logik des Realen setzt seinen Überlegungen Grenzen, subjektive Formsetzungen werden auf ein Minimum reduziert. Finden ist wichtiger als Erfinden. Zugleich gilt es, das Vorgegebene gedanklich zu transzendieren und am Ende in eine architektonische Form zu transformieren. Deshalb kommt es uns wesentlich darauf an, die Ambivalenz zwischen realen Vorgaben und daraus entstehenden Ableitungen auszuhalten und für ein Projekt fruchtbar zu machen. Das setzt voraus, dass man möglichst genau wahrnimmt, was bereits da ist, sich davon faszinieren, zugleich aber auch dazu anregen lässt, begründet darüber hinauszugehen.
Aus diesen Gründen arbeiten wir mit Wahrnehmungen, Bildern und Assoziationen und verbinden diese konzeptuell mit den funktionalen Parametern der jeweiligen Bauaufgabe.
Assoziationsobjekt Stichsägenkoffer mit Stichsäge
Futteral des Stichsägenkoffers
Entwurfsprozess
Wir beginnen jeden Entwurfsprozess damit, die Besonderheiten des Ortes und der Bauaufgabe zu recherchieren und eingehend zu analysieren. Dabei werden historische, kulturelle und symbolische Schichten aufgespürt und deren lebendige Energien freigelegt. Auf der Basis der dabei gewonnenen Erkenntnisse versammeln wir sämtliche Assoziationen, die sich bei uns einstellen. Die so entstehenden Gedankenverbindungen sind immer eng mit den Spezifika von Ort, Bestand und Bauaufgabe verknüpft und an diese gebunden. Sie speisen sich aus einer genauen Beobachtung alltäglicher Dinge deren Anordnung und Signifikanz. Dies können möblierte Innenräume oder gewöhnliche, einen Raum prägende Gegenstände ebenso sein wie vorgefundene städtebauliche Situationen, historische Schichten eines Gebäudes oder die Geschichte eines Ortes. In der Folge übersetzen wir diese authentischen räumlichen Gebilde und selbstverständlich entstandenen Konstellationen in Modellstudien. Damit verfolgen wir das Ziel, Raum als Wahrnehmungsraum, als Reflexionsraum und als Raum für soziale Interaktionen zu aktivieren.
Transformation
In dem von uns praktizierten Entwurfsprozess geht die Analyse des Vorgegebenen über in die Transformation bestehender Situationen oder Gebäude. Dies geschieht mittels gedanklicher Assoziationen und daraus gewonnen Bildern. Was einem auf den ersten Blick als eine Art Readymade begegnet, wird zum Ausgangsobjekt einer neuen Realität, die ihre Stellung in einem gegebenen Kontext ebenso wenig ignoriert wie die Bedingungen, unter denen sie entstanden ist. Dabei schließt unser methodisches Vorgehen den Rückgriff auf Bautypologien und aus der Baugeschichte bekannte Techniken ausdrücklich ein.
Unsere Haltung zur Architektur beruht somit darauf, dass wir im Grunde alles, was wir tun, als eine Transformation oder ein Umbauen bestehender Situationen verstehen. Entsprechend sensibel reagieren die von uns entworfenen Gebäude auf ihre unmittelbare Umgebung und den städtebaulichen Kontext. Zugleich entfalten sie aber auch eine skulpturale Wirkung. Den Widerspruch, der scheinbar daraus resultiert, lösen wir dadurch auf, dass wir Methoden entwickelt haben, die Prinzipien und Strategien folgen, wie sie in der zeitgenössischen Kunst üblich sind.
Für das Projekt Ding-Raum im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main wurde der Arbeitsraum des "intellektuellen Messies" mit vielen gestapelten Büchern abstrahiert.
Parallel zur Realisierung von einzelnen Projekten entwickeln wir kontinuierlich freie Raumstudien, in denen Räume in unterschiedlichen Maßstäben thematisiert und in exemplarischer Weise erkundet werden.
Ein kalkuliertes, der Konzeptkunst entnommenes Spiel mit Wahrnehmungsebenen und Assoziationsketten setzt den Entwurfsprozess in Gang und produziert selbstverständliche und zugleich überraschende Lösungen.
Gefüllte Kiste als Ausgangspunkt für eine Stahlplastik.
Ansicht der Stahlplastik von vorne. Die gefüllte Kiste ist eindeutig zu erkennen.
Von Hinten offenbart die Stahlplastik eine gänzlich andere, abstrakte Form.
Von menschlicher Erfahrung gesättigte Dinge, räumliche und städtebauliche Konstellationen werden grafisch, plastisch und architektonisch transformiert.
Beim Entwurf eines neuen nicht anders als beim Umbau eines bestehenden Gebäudes steht der Begriff der Wahrnehmung im Zentrum – besonders in Bezug auf die Ambivalenz von Masse und Raum, Gegenständlichkeit und Abstraktion. Im Bestand und in den dort vorhandenen Konstellationen sind vielfältige soziale Erfahrungen gespeichert, die spezifische Assoziationen anstoßen. Indem diese in ihrer komplexen Bedeutung erkannt und analysiert werden, erwachsen daraus vitale Nutzungen und Möglichkeiten der sozialen Interaktion im realen Raum. Es entsteht ein neuer Blick auf Orte, Gebäude und Dinge, der wiederum zu neuen Verknüpfungen unterschiedlicher Bilder, Atmosphären und Nutzungen anregt.
In eigenen Raumstudien, wie wir sie seit vielen Jahren realisieren und stetig weiterentwickeln, werden Räume in unterschiedlichen Maßstäben thematisiert. Die Studien erproben und erkunden in exemplarischer Weise städtebauliche und stadträumliche Konzepte, räumliche und gebäudetypologische Strukturen sowie künstlerische Fragestellungen.
Raumstudien und Projekte
Auf der Basis der beschriebenen Methodik sind über die Jahre nachfolgende Raumkonzepte entstanden. In einer Serie von Plastiken, Modellstudien und Zeichnungen werden Möglichkeiten ausgelotet, wie Raumkonzepte entwickelt und realisiert werden können. Untersucht wird das Verhältnis von Linie, Fläche und Raum ebenso wie das von Zeichnung und Skulptur, Gegenständlichkeit und Abstraktion.
Stahlplastiken
Die Stahlplastiken von Florian Schlüter sind als begehbare Zeichnungen im Raum konzipiert. Sie kreisen um die Ambivalenz von Begriffen wie Masse und Raum, Gegenstand und Abstraktion und zielen darauf ab, die Authentizität des Alltäglichen zu erkunden. Daraus ergeben sich wesentliche Aspekte späterer Architekturprojekte.
Stahlplastik "Raum 01", Skizze
Stahlplastik "Raum 01", Vorderansicht
Stahlplastik "Raum 01", Seitenansicht
Stadtraumstudien
In diversen Stadtraumstudien durchdringt Claudia Meixner in Form von Zeichnungen, Gemälden und Modellen Verhältnisse von Masse und Raum, von Raum als einem Komplement von Masse und von Raum, Masse und Zwischenraum. Ausgangspunkt sind sowohl abstrakte als auch konkrete stadträumliche Konstellationen, deren gegebene sinnliche und materielle Gestalt zum Ausgangspunkt einer Transformation hin zu einer neuen Realität werden.
Stadtraumstudie 01
Stadtraumstudie 02
Stadtraumstudie 03
Gebäude-Prototypen
In einer Serie von Modellstudien und Rauminstallationen werden zudem Prototypen möglicher Gebäude realisiert. In Auseinandersetzung mit Fragen zum Verhältnis von Hülle und Kern, zur Bedeutung und Funktion von Zwischenraum und Elementen im Raum entstehen komplexe Raumkonzepte.
Hier werden Möbel oder Einrichtungselemente in Innenräumen zum Ausgangspunkt genommen. Ihrer im Alltag bewährten Konstellation entsprechen in dieser Modellstudie einzelne begehbare Räume in einem großen Umraum. Die Elemente im Raum und der Zwischenraum werden in ihrem Verhältnis zum Gesamtraum erlebbar gemacht.
Verschiedene Gegenstände und unbewusst gestapelte Kisten als Ausgangspunkt
Modell Anhäufung/Stapelung
Modell Zwischenraum
In einer ersten Modellstudie wurde bei der scheinbar zufälligen Anhäufung oder Stapelung von Dingen angesetzt. Die einzelnen Elemente im Modell stellen begehbare Innenräume dar und bilden Zwischenräume.
Ausgangspunkt einer weiteren Modellstudie ist eine Abformung und selektive Auffüllung der Zwischenräume einer Stapelung und Schichtung unterschiedlicher Gegenstände im Raum. Das Verhältnis von Positiv und Negativ wird umgekehrt, das von Volumen und Masse neu bestimmt. Zwischenraum wird zur begehbaren Masse.
Exemplarische Projekte
Neben den beschriebenen konzeptuellen Parameternkommen kommen bei der Umsetzung der Projekte die architekturrelevanten pragmatischen Parameter hinzu, die in das inhaltliche Konzept einfließen. Unterschiedlichste konstruktive Mittel werden zum Gelingen einer skulpturalen Konstruktion eingesetzt, bei der Ruhe und Unruhe, Schwere und Leichtigkeit, Stabilität und Instabilität je nach Gesamtkonzept ihren Ausdruck finden.
Expo-Pavillon
Der Entwurf eines Pavillons für die Expo 2000 nimmt die Geometrie eines „einfachen Hauses“ mit Satteldach, einem einzigen Innenraum sowie einigen „Möbeln“ zum Ausgangspunkt. Durch die Vergrößerung auf das Zehnfache mutieren die Dinge zu archetypischen Zeichen. Wahrnehmung an sich wird thematisiert und es entsteht ein neuer Blick auf den architektonischen Raum und die in ihm vorhandenen Dinge. Haus, Innenraum und Garten wirken je nach Blickwinkel zeichenhaft, gegenständlich oder abstrakt.
Rendering Pavillon Expo 2000
Haus Wohlfahrt-Laymann
Beim Umbau des Wohnhauses entwickelte sich das Konzept aus der Notwendigkeit der Erweiterung und der bauphysikalischen Optimierung eines archetypischen Hauses. Es entstand eine neue Hülle, die das bestehende Haus in seiner Gesamtheit umfängt. Innerhalb der kubischen Hüllenarchitektur sind vielfältige Raumkonstellationen entstanden, die mit dem Verhältnis von Innen- und Außenräumen sowie neu entstehenden Zwischenräumen spielen.
Blick aus dem neuen Wohnzimmer auf die alte Außenfassade
Artemide
Im Rahmen eines Projekts für Artemide wurden Formen einiger Leuchten des Herstellers als Readymades betrachtet, auf ihre wesentlichen Bestandteile reduziert, miteinander verschmolzen und als Negativform aus einer kompakten Masse herausgeschnitten. Der so entstandene polyvalente Körper schafft durch das Spiel von Licht und Schatten eine eigene räumliche Atmosphäre und löst vielfältige Assoziationen aus.
Schnitt durch die 3d-geprintete Form
Dornbuschkirche
Beim Teilabbruch und Umbau der Dornbuschkirche kommt die Besonderheit des Ortes und des Rückbauprozesses zum Ausdruck. In einer neuen Wand wurden Stanzungen und Abdrücke der bestehenden Kirche abgebildet, entfernte bauliche Elemente zu einer plastischen Struktur verformt. Im Abdruck bleibt das Abwesende anwesend. Die Wahrnehmung von Fläche und Raum wird aktiviert und die Erinnerung an den früheren Zustand gestärkt.
Ausgangspunkt Weinkarton
Die rückgebaute Dornbuschkirche mit Reliefwand und neuem Kirchplatz
In der Architektur, wie wir sie verstehen, ist im Grunde alles Umbau. Unsere Aufgabe sehen wir darin, die Ambivalenzen zu steuern, die bei einer Transformation des Bestehenden auftreten. Dabei werden nicht nur physische Ressourcen geschont, sondern auch sinnliche, intellektuelle und letztlich kulturelle Ressourcen aktiviert.